Verwaltungsgericht Magdeburg 5 A 383/05 MD,
Urteil vom 18. Juli 2006
In der Verwaltungsrechtssache
des Herrn Frank Brendel, Yorckstraße 75, 10965 Berlin
Klägers,
- Proz.-Bev.: Rechtsanwälte Knappmann-Korn,
Apostel-Paulus-Straße 35, 10823 Berlin -
gegen
das Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt, vertreten durch den Minister, Turmschanzenstraße 25, 39114 Magdeburg
Beklagten,
wegen
Auskünften nach Umweltinformationsgesetz LSA
hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Magdeburg durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichts
Bluhm, Richter am Verwaltungsgericht Friedrichs, Richter am Verwaltungsgericht Zehnder sowie
die ehrenamtlichen Richter Frau Kretschmer und Herr Heuer auf die mündliche Verhandlung
vom 18. Juli 2006 für Recht erkannt:
Soweit das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird es eingestellt.
Der Beklagte wird im Übrigen unter Aufhebung seines Bescheides vom 07.10.2005 nach Maßgabe aller ihm vorliegenden Daten verurteilt, dem Kläger folgende Fragen zu beantworten:
a) Wie viele Mineralwässer aus Sachsen-Anhalt sind ihm bekannt, die mehr als 15 µg Uran pro Liter Wasser nach Abfüllung in Flaschen aufwiesen?
b) Wie hoch lagen die Belastungen bei diesen Wässern jeweils?
c) Wie viele Mineralbrunnen (Entnahmestellen) mit bestehender Wasserentnahmeerlaubnis sind dem Beklagten bekannt, die mehr als 15 µg Uran pro Liter Wasser aufweisen bzw. aufwiesen?
d) Wie hoch genau liegen bzw. lagen die Betastungen bei diesen Mineralbrunnen jeweils?
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger ist Journalist und recherchiert über Uranbelastungen in Mineralwässern
sowie über den Umgang von Behörden mit entsprechenden Auskunftsbegehren.
Mit Mail vom 03.08.2005 bat er den Beklagten im Wesentlichen um Auskunft zu der Frage, wie viele
Mineralwässer aus Sachsen-Anhalt bekannt seien, die einen Urangehalt von mehr als 15 µg
Uran pro Liter Wasser aufweisen. Hierzu entspann sich Schriftverkehr. Die begehrte Auskunft wurde
von dem beklagten Ministerium jedenfalls nicht erteilt. Unter dem 07.10.2005 teilte der Beklagte
mit, der Kläger könne mangels Rechtsgrundlage keine Auskünfte verlangen.
Am 03.11.2005 hat der Kläger Klage erhoben, welche er zunächst auf die vom Land nicht
umgesetzte Richtlinie 2003/04 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2003 über
den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen pp. stützte, welche nicht fristgerecht
umgesetzt worden ist und daher wohl unmittelbar zu gelten hatte. Mit In-Kraft-Treten des Umweltinformationsgesetzes
des Landes Sachsen-Anhalt vom 14.02.2006 stützt er sein Begehren nunmehr auf § 1 Abs.
3 dieses Gesetzes i. V. m. § 3 des Umweltinformationsgesetzes des Bundes.
Der Kläger ist insbesondere der Auffassung, sein Auskunftsbegehren scheitere nicht an § 9
Abs. 1 Nr. 3 des UIG des Bundes, wonach der Antrag abzulehnen sei. Wenn durch das Bekannt geben
Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zugänglich gemacht würden, sofern nicht das öffentliche
Interesse an der Bekanntgabe überwiege.
Nachdem der Beklagte im gerichtlichen Erörterungstermin vom 21. April 2006 erklärt
hat, dass es in Sachsen-Anhalt derzeit keine abgefüllten Mineralwässer gebe, die den
Grenzwert von 15 µg überschritten, haben die Beteiligten insoweit das Verfahren in
der Hauptsache für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt nunmehr (sinngemäß), wie erkannt.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage für unzulässig, weil das Schreiben vom 07.10.2005 keinen Verwaltungsakt
darstelle. Im Übrigen unterfielen bezüglich des Urangehaltes von Mineralwässern
die erhobenen Werte dem Begriff des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses. Sie stünden
zum einen im Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, nämlich dem
Gewinnen, Abfüllen und Verkaufen von Mineralwässern und seien zum anderen nur einem
begrenzten Personenkreis bekannt. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass Kenntnis von
den Daten keinesfalls nur Personen innerhalb der betroffenen Unternehmen hätten, sondern
die Untersuchungsergebnisse auch einer Reihe von Behörden bekannt seien. Hierbei handele
es sich aber nicht um die „Öffentlichkeit". Die Unternehmen hätten auch
ein berechtigtes Interesse an einer Nichtveröffentlichung der Daten. Eine Veröffentlichung
könnte nämlich erhebliche Umsatzrückgänge, wenn nicht gar einen Umsatzstillstand
zur Folge haben und damit betreffende Unternehmen in eine existenzielle Krise führen. Grenzwerte
für den Urangehalt von Mineralwässern seien bislang weder bundes- noch europaweit festgelegt
worden. Eine Preisgabe der begehrten Daten wäre daher geeignet, in der Öffentlichkeit
für eine Flut von Spekulationen zu sorgen. Dies würde einen wirtschaftlichen Einbruch
auf Seiten der Mineralwasserindustrie hervorrufen und die Bevölkerung insgesamt ohne konkreten
Anlass in Unruhe versetzen.
Dem tritt der Kläger entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage auf Auskunftserteilung zulässig. Ob es sich
bei dem Bescheid vom 07.10.2005 um einen Verwaltungsakt handelt, ist gleichgültig, weil
der Verwaltungsrechtsschutz nicht davon abhängig ist, dass die Behörde in Form eines
Verwaltungsaktes handelt. Allerdings ist es vor der Erhebung einer Klage grundsätzlich geboten,
vorprozessual die begehrten Auskünfte zu erbitten, um ein Rechtsschutzbedürfnis für
die klageweise Durchsetzung zu begründen. Ob die Behörde dann durch Verwaltungsakt
entscheidet ist ohne Bedeutung. Entscheidend ist, dass Auskünfte als Wissenserklärungen
nicht durch eine regelnde Verfügung erteilt werden.
Das zwischenzeitlich in Kraft getretene Umweltinformationsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt vom
14.02.2006 ändert an der Zulässigkeit der Klage nichts, auch wenn nach § 2 Abs.
2 dieses Gesetzes stets ein Vorverfahren vorgeschrieben ist. Der Beklagte hat sich weiterhin
zur Sache eingelassen und nicht das Fehlen eines Vorverfahrens gerügt. Damit herrscht Einverständnis,
dass es eines solchen vorliegend nicht bedarf.
Nachdem die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend im Hinblick auf die Auskunft vom 21.04.2006
erledigt erklärt haben, war über die Anträge des Klägers in der angepassten
Form zu entscheiden. Diese Anträge sind begründet.
Das ergibt sich aus § 1 Abs. 3 UIG LSA i. V. m. § 3 Abs. 1-3 UIG (Bund). Danach hat
jede Person nach Maßgabe dieses Gesetzes Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen, über
die eine informationspflichtige Stelle im Sinne von § 2 Abs. 1 UIG verfügt, ohne ein
rechtliches Interesse darlegen zu müssen. Die begehrten Auskünfte stellen Umweltinformationen
dar. Gem. § 2 Abs. 3 Nr. UIG (Bund) sind Umweltinformationen unabhängig von der Art
der Speicherung alle Daten über den Zustand der menschlichen Gesundheit und Sicherheit,
die Lebensbedingungen des Menschen, soweit sie jeweils vom Zustand der Umweltbestandteile betroffen
sind oder es sein können; hierzu gehört auch die Kontamination der Lebensmittelkette.
Nach Auffassung der Kammer stellt die Belastung von Mineralwasser mit Uran eine Kontamination
in diesem Sinne dar. Es mag zwar sein, dass das Uran auf natürliche Art und Weise durch
die Beschaffenheit von Gestein und Boden in das Mineralwasser gelangt, insofern nicht eine „Verschmutzung" darstellt.
Es ist aber genauso gut denkbar, dass Mineralwasserquellen durch von Menschen geschaffene Umweltveränderungen
im Zusammenhang mit der friedlichen oder militärischen Nutzung der Kernenergie in die Nahrungskette
gelangt. Im Übrigen ergibt sich aus § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG, dass Umweltinformationen
allgemein Daten über den Zustand von Umweltbestandteilen wie Wasser und Boden darstellen,
auch wenn es sich nicht um Kontamination handelt.
Demzufolge ist der Kläger grundsätzlich berechtigt, die begehrten Informationen von
dem Beklagten zu verlangen, welche als „Regierung" im Sinne von § 2 Abs. 1 UIG
eine informationspflichtige Stelle ist und nach eigenem Bekunden über die begehrten Informationen
jedenfalls teilweise verfügt. In welchem Umfang der Beklagte sich auf Unvermögen zur
Erteilung der begehrten Auskünfte wird berufen können, kann geklärt werden, wenn
seine grundsätzliche Verpflichtung rechtskräftig feststeht. Im Übrigen hat das
Gericht keinen Zweifel daran, dass der Beklagte in rechtsstaatlicher Weise gerichtlichen Entscheidungen
in der geeigneten Form (§ 3 Abs. 2 UIG/Bund) nachkommen wird.
§ 9 Abs. 1 Nr. 3 UIG steht dem Begehren des Klägers nicht entgegen. Danach ist der Auskunftsantrag
abzulehnen, soweit durch die Bekanntgabe Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zugängig
gemacht würden, es sei denn die Betroffenen hätten zugestimmt oder das öffentliche
Interesse an der Bekanntgabe überwiege. Vorliegend handelt es sich schon nicht um ein Geheimnis
im genannten Sinne. Das Geschäftsgeheimnis betrifft das Rechnungswesen und kaufmännische
Belange des Unternehmens was ersichtlich hier ausscheidet. Auch ein Betriebsgeheimnis liegt nicht
vor. Als solches ist jede Tatsche anzusehen, die im Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb
steht, nicht offenkundig ist und nach dem Willen des Unternehmers geheim gehalten werden soll und
den Gegenstand eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses den Unternehmens bildet. Dieses Interesse
liegt dann vor, wenn aufgrund der Daten Rückschlüsse auf geschützte Produktionsverfahren
oder Arbeitsweisen möglich sind. Soweit hier noch Auskünfte zu der Belastung von (abgefüllten)
Mineralwässern begehrt werden, handelt es sich schon deshalb nicht um Geheimnisse, weil diese
Wässer nach dem Verlassen der betreffenden Betriebe von jedermann analysiert werden konnten,
welche über die hier zu erforderlichen Einrichtungen verfügt. Dies beweist der vom Kläger
für einige Wässer in Auftrag gegebene Laborbefund. Mit dem Verlassen des Betriebes war
die Zusammensetzung prinzipiell jedem Interessierten zugänglich. Deshalb kommt als Geheimnis
allenfalls in Betracht, in welcher Weise die für die Mischung des Mineralwassers eingesetzten
Entnahmestellen (Brunnen) beim Wassergehalt uranbelastet sind bzw. waren. Jedoch begehrt der Kläger
eine solche Auskunft gar nicht. Er will keine betriebsbezogene Auskunft, sondern eine allgemeine
Auskunft über die Belastung von Mineralwässern in Sachsen-Anhalt, völlig losgelöst
vom konkreten Produzenten. Insofern sind allerdings wirtschaftliche Interessen der gesamten Mineralwasserwirtschaft
in Sachsen-Anhalt betroffen, weil Auskünfte des Beklagten über etwa erheblich belastete
Wässer durchaus die Kunden verunsichern könnten und dadurch einen Absatzeinbruch aller
Mineralwasserabfüller bewirken würden. Insofern ist dann allerdings nicht ein konkretes
Betriebsgeheimnis in Gefahr, vielmehr das Absatzinteresse aller Mineralwasserbetriebe in
Sachsen-Anhalt.
Die Kammer verkennt nicht, dass hier ganz erhebliche und wichtige Interessen berührt sind,
für welche sich der Beklagte stark macht. Amtshaftungspflichtig macht er sich aber nicht
dadurch, dass er entsprechend den Vorgaben des UIG und bzw. oder in Erfüllung eines Gerichtsurteils
die vorgesehenen Auskünfte erteilt. Denn er handelt dabei rechtmäßig. Es liegt
in der Natur der Sache, dass die Bekanntgabe von evtl. negativen Umwelttaten geschäftliche
Interessen derjenigen berührt, welche belastete Produkte in Verkehr bringen. Das Gesetz
hat aber deutlich den Verbrauchschutz vor Augen. Dieser soll selbst entscheiden können,
ob er belastete oder nicht belastete Lebensmittel oder andere Produkte kauft. Ähnliches
gilt z. B. für die kennzeichnungspflichtige Verwendung von Konservierungsstoffen oder Nikotin-
und Teergehalten.
Über dies hat der Beklagte nicht einmal versucht, bei der Mineralwasserwirtschaft in Sachsen-Anhalt
zu erfragen, ob man dort Betriebsgeheimnisse im Falle der Mitteilung von Uranbelastung als verletzt
ansieht. Gem. § 9 Abs. 1 S. 3 UIG (Bund) sind jedoch vor der Entscheidung über die Offenbarung
der (eventuell) geschützten Informationen die Betroffenen anzuhören. Soweit es die informationspflichtige
Stelle verlangt, haben mögliche Betroffene im Einzelnen darzulegen, dass ein Betriebs- oder
Geschäftsgeheimnis vorliegt. Solche Ermittlungen liegen nicht vor. Aufgrund der fehlenden
Ermittlungen und dem beharrlichen Verweigern der Auskunft durch den Beklagten wird die Vermutung
der möglichen Belastung der Wässer gerade noch zu Lasten der Mineralwasserhersteller
geschürt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, soweit der verbleibenden Klage vollständig
stattgegeben worden ist. Bezüglich des erledigten Teils ergibt sich die Kostenentscheidung
aus § 161 Abs. 2 VwGO und entspricht der Billigkeit, nachdem der Beklagte im laufenden Verfahren
teilweise Angaben gemacht hat, für welche er auch zuvor kein Auskunftsverweigerungsrecht
hatte. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO
i. V. m. §§708 Nr. 11,711 ZPO.
Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen, weil bislang ungeklärt
ist, wie der Begriff des „Betriebsgeheimnisses" im UIG auszulegen ist und in welchem
Verhältnis er zu Auskunftsanspruch steht, insbesondere inwieweit die geschäftlichen
Interessen einer Branche diesem Begriff zuzuordnen sind.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG und entspricht dem Auffangwert.
Anmerkung:
Die Entscheidung ist rechtskräftig geworden. Die Behörde hat das zugelassene Rechtsmittel nicht eingelegt, sondern die Auskünfte erteilt.