Das Comeback
Die Recherche, das Steckenpferd journalistischer Theorie, wird in der
Praxis oft stiefmütterlich
behandelt. Und selbst wenn der Redakteur um seine Rechte und Pflichten weiß, bleibt die
Durchsetzung des journalistischen Auskunftsanspruches mitunter ein Hindernis, das auch gestandene
Reporter einlenken lässt. Obwohl Behörden verpflichtet sind, „den Vertretern
der Presse und des Rundfunks die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden
Auskünfte zu
erteilen.“1
Bisweilen reicht die schlichte Pressemitteilung eben nicht aus, um ein Thema
gewissenhaft zu erforschen. Und eine öffentliche Bekanntmachung wirft mehr Fragen auf, als
sie beantwortet. Manchmal ist es nur ein Verdacht, der nach amtlicher Auskunft verlangt. Zeit,
nachzufragen. Auch wenn Umwege drohen.
Diese Textsammlung dient dem Comeback der Recherche. Aus dem trüben Tabakdunst des behaglichen
Pausenraums zurück in die Arena des Alltags – ein Mehrkampf, der manchmal „olympische“ Qualitäten
erfordert.
Auf Grund der Landespressegesetze können Journalisten von jeder Behörde verlangen, dass ihnen ein autorisierter Vertreter2 der jeweils zuständigen Dienststelle „Auskunft in sachgerechter Form“3 gibt. Das berechtigt sie aber nicht, die Antwort in Form eines Interviews einzufordern oder Einblick in die Behördenakten zu nehmen. Hier helfen Informationsfreiheitsgesetze und öffentliche Register weiter.
► | Auf welche Rechtsansprüche sich Journalisten bei ihrer Recherche berufen können, erläutert Mareike Potjans. |
Manchmal wird die Suche nach Informationen zu einem mühevollen Dauerlauf, der eine Extrarunde erfordert. Im August 2007 richtet ein Journalist eine Anfrage an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Er fragt, welche in Deutschland zugelassenen Tierarzneimittel mit Hilfe von gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden.
Sein Antrag wirkt durchdacht: Er bittet explizit um zeitnahe Auskunft und ordnet die Fragestellung in den Gesamtkontext ein – eine gesellschaftliche Debatte um die positive Kennzeichnung tierischer Produkte, bei deren Herstellung auf gentechnisch veränderte Futtermittel verzichtet wurde. Einige Verbände hätten nun den Verdacht geschürt, dass neben den Futtermitteln auch veränderte Arzneimittel eingesetzt würden.
Das Ministerium antwortet schriftlich. Im eigenen Zuständigkeitsbereich seien keine Tierarzneimittel zugelassen, die gentechnisch veränderte Organismen enthielten.
Allerdings seien zwei Wirkstoffe registriert, die von entsprechend veränderten Organismen produziert würden. Diese könne man jedoch nicht von konventionellen Wirkstoffen unterscheiden. Namen werden nicht genannt. Medikamente, die durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMEA) zugelassen würden, seien ohnehin nicht berücksichtigt.
Der Journalist hakt nach – und bittet darum, die Namen der erwähnten Wirkstoffe zu nennen, die in Deutschland registriert seien. Das Ministerium lehnt ab, da es sich um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handele. Eine dubiose Begründung. Immerhin empfiehlt es, einen Antrag auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) zu stellen. In diesem Falle würde das BVL den Fall erneut prüfen und über die Gewährung der Einsicht entscheiden.
Der Journalist nimmt den Vorschlag dankbar an – und wendet sich erneut an das Ministerium.
Nur der Halbsatz „…unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz…“ unterscheidet
den Schriftsatz von der ursprünglichen Formulierung.
Die langatmige Extrarunde hat Erfolg: Das BVL veröffentlicht die Namen der kennzeichnungspflichtigen
Arzneimittel, die Wirkstoffe beinhalten, die von gentechnisch veränderten Organismen produziert
werden.
Fazit: Der Klügere gibt nach. Aber nicht auf.
► | Frederic Kappen über die Durchsetzung des journalistischen Auskunftsanspruches. |
Als ein Haushaltsentwurf der nordrhein-westfälischen Landesregierung eine Kürzung der
Zuschüsse für die Jugendverbände der Parteien vorsieht, stellt ein Journalist
im Herbst 2005 die Frage, nach welchem System die öffentlichen Mittel den Verbänden
zugewiesen werden.
Ergebnis: Das Geld – rund 1,2 Millionen Euro jährlich – verteilt eine Dachorganisation,
die die Verbände selbst gegründet haben: Der „Ring Politischer Jugend“ (RPJ).
Nach welchem Schlüssel er die Landesmittel vergibt, bleibt offen. Das „Verteilungskartell“ erregt
erstmals öffentlich Aufsehen.
Sommer 2006. Eine förmliche Anfrage an die Landesregierung Nordrhein-Westfalens unter Berufung auf das Landespressegesetz bleibt ohne Erfolg – schließlich sei der RPJ selbst zuständig. Auch die Geschäftsführung des RPJ, die die „Jusos“ innehaben, mauert. Man müsse zuerst Rücksprache mit den Mitgliedern des Rings halten. Danach: Funkstille.
Der Journalist weicht dem vermeintlichen Hindernis aus – und stößt erneut auf Widerstand. Er beantragt Einblick in das Vereinsregister, das die Protokolle der Mitgliederversammlungen aller eingetragenen Vereine archiviert. Doch der Ring ist ein „nicht rechtsfähiger Verein“, über den das Vereinsregister keine Angaben enthält. Der Journalist ändert abermals die Richtung.
Aber auch der Versuch, Einsicht in die Rechenschaftsberichte der Parteien zu nehmen, schlägt fehl. Denn die staatlichen Zuschüsse der Jugendverbände sind dort nicht verzeichnet. Eine Ausnahmeregelung (§24, Absatz 12, Parteiengesetz) besagt: „Öffentliche Zuschüsse, die den politischen Jugendorganisationen zweckgebunden zugewendet werden, […] bleiben bei der Einnahme- und Ausgaberechnung der Partei unberücksichtigt.“
Der Journalist entscheidet sich erneut für ein „Ausweichmanöver“. Eine E-Mail an alle Vorstandmitglieder der Verbände bleibt unbeantwortet. Der Journalist richtet erneut einen formalen Antrag an die Landesregierung – diesmal auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG). Im Herbst entscheidet die Landesregierung schließlich, den Verteilungsschlüssel zu veröffentlichen. Ein Zieleinlauf, der beweist: Flexibilität zahlt sich aus. Beharrlichkeit auch.
► | Eine ausführlichere Darstellung seines Slalom-Laufes gibt Sebastian Heiser unten selbst. |
Dass die Recherche bisweilen zu einem mühsamen Hürdenlauf werden kann, beweist der
Fall eines Journalisten, der sich auf die Spur mutmaßlicher Financiers deutscher Regierungsbehörden
begab. IFG? „Nie gehört“, hieß es aus den Amtsstuben. Moderne Recherche – ein
Kampf gegen latente „Unverbesserlichkeit“?
August 2006. Der Journalist nimmt die Herausforderung an – und stellt eine Anfrage an das
Innenministerium. Er bezieht sich auf das Informationsfreiheitsgesetz und bittet um eine Liste
mit den Namen der Sponsoren, die Regierungsbehörden finanziell unterstützen. Das Ministerium
lehnt ab und verweist auf die einzelnen Ministerien.
Der Journalist zieht einen Juristen zu Rate und sendet Anfragen an 14 Ministerien und das Kanzleramt.
Er verlangt Einsicht in die Akten und nimmt mögliche rechtliche Einwände bereits vorweg – der
eingehenden Beratung sei dank. Der Verwaltungsapparat setzt sich in Bewegung. Einige Ministerien
laden ihn ein, vor Ort Einsicht zu nehmen. Die ersten Hürden sind überschritten. Doch
das Verteidigungsministerium hemmt den anfänglichen Laufrhythmus. Zunächst müsse
man alle Sponsoren fragen, ob sie mit der Akteneinsicht einverstanden seien, heißt es.
Der Journalist protestiert. Schließlich hätten die Sponsoren im Vorfeld wissen müssen,
dass ihre Namen veröffentlich würden – so verlange es eine Regierungsvorschrift4 .
Eilends richtet er eine Beschwerde an den Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit.
Dieser interveniert. Mit Erfolg. Auch das Verteidigungsministerium gewährt Akteneinsicht – inklusive
Kaffee und Kuchen.
Andere Ministerien vertrösten den Journalisten bis heute. Sie seien derzeit mit anderen, „wichtigen
Sachthemen“ beschäftigt. Ein Hürdenlauf, der einen langen Atem erfordert – und
ein strapazierfähiges Spesenkonto. Bis zu 390 Euro berechnen die Ressorts für den seltenen
Einblick in die Akten.
Fazit: Mut zur Beschwerde! Im Ernstfall entscheidet der Schiedsrichter.
► | Katja Reich informiert über die möglichen Kosten investigativer Recherche. |
Investigative Recherche – eine langatmige Herausforderung. Manchmal
bedeutet der Mut, einem Verdacht nachzugehen, einen beschwerlichen Weg einzuschlagen.
Im September 2003 beginnt die Journalistin Renate Daum ihren Marathon
zur Aufklärung von
Verlusten der LfA Förderbank Bayern aus der Beteiligung an der Schneider Technologies AG.
Nach mehreren vergeblichen Anfragen beantragt sie im Februar 2004 den Erlass einer einstweiligen
Anordnung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München. Dieser wird im Mai 2004 abgelehnt.
Daraufhin erhebt sie im August 2004 Auskunftsklage. Diese wird im Juli 2005 abgewiesen. Gegen
dieses Urteil legt sie im September 2005 Berufung ein. Im August 2006 verurteilt der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof die Bank, die Fragen von Renate Daum zumindest teilweise zu beantworten.
Im Dezember 2006, mehr als drei Jahre nach Beginn der Nachforschungen,
gibt die Bank die Antworten, zu denen sie verurteilt worden ist, und bestätigt damit den Verdacht von Renate Daum, Aktien
in großem Stil weit unter den Börsenkursen abgegeben zu haben.
Fazit: „Manchmal geht es nicht ohne Juristen. [...] Jede Informationsbeschaffung kann unerwartet Rechtsfragen aufwerfen.“5
► | Henning Engelage und Gina Osthoff informieren über das finanzielle Risiko eines Rechtsstreits. |
► | Eike Risto beschreibt, wie sich Renate Daum vor Gericht erfolgreich behauptet hat. |
► | Weitere Beispiele für die erfolgreiche Durchsetzung von Informationsansprüchen finden sich im Teil C. |
1 BRANAHL, Udo: Medienrecht. Eine Einführung. Wiesbaden 2002, S.33
2 vgl. BRANAHL, Udo, a.a.O., S.37f.
3 vgl. BAUMERT, Andreas: Interviews in der Recherche. Redaktionelle Gespräche zur Informationsbeschaffung. Wiesbaden 2004, S.149
4 Bundesministerium des Innern: Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Förderung von Tätigkeiten des Bundes durch Leistungen Privater (Sponsoring, Spenden und sonstige Schenkungen), Berlin, 7. Juli 2003. Internet (Stand: Januar 2008): http://www.bmi.bund.de/cln_012/nn_121852/Internet/Content/Themen/Oeffentlicher__
Dienst/Einzelseiten/Statistiken/Allgemeine__Verwaltungsvorschrift__zur__Id__93097__de.html
5 BAUMERT, Andreas, a.a.O., S.9